Unser Selbstverständnis

Unter dem Namen “Kritik und Intervention” machen wir als FLINTAs (Frauen, Lesben, Inter- und Transgender, Non-Binary und Agender) linke und feministische Politik in und um Erfurt. Unser Name ist dabei unser Programm, denn kritische Analyse und Interventionen sind die Mittel, auf die wir in unserem Kampf gegen das bestehende Übel setzen.

Warum machen wir Politik als FLINTA-only-Zusammenhang?
Unsere Organisierung als FLINTAs ist zum einen gewachsen aus einer tiefliegenden Frustration über eine radikale Linke, die nach wie vor geprägt ist von Männerbünden und einer dominanten männlichen Kultur. Zum anderen aus dem Bedürfnis, dem produktiv etwas entgegensetzen zu wollen. Wir wollen Strukturen für konsequente feministische Auseinandersetzung und Praxis innerhalb unserer Szene, die nicht immer wieder darin enden, Betroffenen-Arbeit leisten zu müssen und Männer zu educaten. Wir wollen selbst als FLINTAs handlungs- und sprachfähig sein, trotz und auch gegen patriarchale Strukturen innerhalb unserer Szene, sowie gegen Macker und andere Männlichkeiten, die diese reproduzieren.
Das bedeutet für uns auch eigene Praktiken zu entwickeln und sich nicht von männlicher Kultur und deren Anerkennung leiten zu lassen. Es geht um eine Veränderung des Kräfteverhältnisses innerhalb einer Linken, die FLINTAs, ihren Struggles und Bedürfnissen endlich angemessen Rechnung leistet. Dazu bedürfen wir, wie Ingrid Strobl feststellt: “nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für [unsere] Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden”. Denn Feminismus sollte nicht länger als ein optionales Interessengebiet von Männern interpretiert werden, sondern die feministische Haltung die Vorraussetzung für ihre politische Organisierung sein.

Was bedeuten für uns Kritik und Intervention?
Eine Überwindung des bestehenden Übels ist nur auf Basis einer kritischen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse möglich. Wir halten eine sinnvolle linke Praxis für unerlässlich. Eine Praxis, die nicht nur zur Selbstbeschäftigung und/oder pseudo-revolutionären Dramaturgien verkommen will, sondern sich mit einer Analyse des totalitären Herrschaftszusammenhangs beschäftigt, den die moderne bürgerliche Gesellschaft darstellt. Die Möglichkeiten hierzu sind vielfältig: Vorträge, Podcasts, Seminare, eigene Lektüre oder Lesekreise – aber ohne eine Beschäftigung mit Theorie kommt diese Praxis nicht aus. Wir glauben daran, dass linke Kämpfe dadurch an Stärke gewinnen, dass man weiß, gegen was man eigentlich kämpft – und sich nicht nur aus einem Bauchgefühl linken Kämpfen anschließt, sondern aus einer fundierten Überzeugung, die Widersprüche und Komplexität anerkennt.
Eine solche Kritik erarbeiten wir uns gemeinsam und diese wird neben der theoretischen Auseinandersetzung auch vom Austausch über unsere eigenen Unterdrückungs- und Gewalterfahrungen getragen. Kritik betreiben wir dabei in Hinblick auf gesellschaftliche Strukturen, divergierende Theorien und unsere Szene. Dazu gehört auch solidarische Kritik und Kontroverse unter Feminist_innen.
Intervention ist ein ebenso vielfältiger Begriff. Etymologisch meint er soviel wie “dazwischen gehen” und beschreibt damit die Notwendigkeit einer Handlung. Intervention kann in Formen von Aktionismus stattfinden, aber auch durch das Starkmachen von Gegenentwürfen und Utopien. Wir sehen die Notwendigkeit zu stören und einzugreifen in die gesellschaftliche Normalität und die sie begleitenden Diskurse, da wir glauben, dass es mit dieser Gesellschaft nicht mehr so weitergehen kann wie bisher!

Was bedeutet für uns Feminismus?
Feminismus ist der Kampf gegen patriarchale Unterdrückung und für eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Die Formen patriarchaler Unterdrückung sind vielfältig und verschränkt mit anderen Herrschaftsverhältissen. Darum muss Feminismus immer intersektional sein, d.h. nicht nur gegen das Geschlechterverhältnis in seiner bestehenden Form kämpfen, sondern den gesamten gesellschaftlichen Herrschaftszusammenhang miteinbeziehen. Unser Feminismus wendet sich gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit.
Unser Feminismus ist materialistisch, denn wir betonen die Verschränkung patriarchaler Herrschaft mit kapitalistischen Strukturen und sehen den Kapitalismus als hochgradig vergeschlechtlichtes System an, das strukturell auf die Geschlechterdifferenz angewiesen ist.
Unser Feminismus ist inspiriert durch die Psychoanalyse. Wir sehen eine Notwendigkeit darin, zu reflektieren, wie Geschlechtsidentitäten und vergeschlechtlichte Bedürfnisstrukturen in der Psyche des Individuum entstehen und damit die unvermeidliche, individuelle Teilhabe an der Reproduktion des Geschlechterverhältnisses.
Phänomene wie Antifeminismus stehen beispielsweise in enger Verbindung zu psychischen Abwehrmechanismen in der männlichen Psyche und sind durch eine psychoanalytische Betrachtung in ihrem Zusammenhang zum patriarchalen Geschlechterverhältnis deutlich tiefgreifender verstehbar.

Weitere Standpunkte und Positionen

1. Die befreite Gesellschaft bedeutet für uns den Kommunismus. Kommunismus nicht nur im Sinne eines Ende des Kapitalismus, sondern eines Ende jeglicher Herrschaftskomplexe der bürgerlichen Gesellschaft. Frei nach Marx ist Kommunismus für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, nicht ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten hat. Kommunismus bedeutet für uns die Organisierung der gesellschaftlichen Produktion nach Bedürfnissen in einer “Welt, in der jede_r ohne Angst verschieden sein kann” (Adorno).

2. Wir beobachten mit Sorge das Erstarken autoritärer Tendenzen und Gruppen. Der kapitalistische Verwertungszwang ist eine Brutstätte des Autoritariumsus. Insbesondere in Krisenzeiten haben starke Autoritäten, die Halt und Orientierung versprechen, Konjunktur. Darunter zählen vor allem menschenfeindliches, rassistisches und antisemitisches Denken und Handeln, welche zunehmend auch die selbstgefällige „Mitte der Gesellschaft“ erfassen, die sich „fern von allen Extremen“ wähnt, und sich dabei selbst autoritären Sehnsüchten hingibt.
Auch Teile der Linken sind vom Hang zur Autorität nicht frei. Wir sehen darin eine Verfallserscheinung emanzipatorischer Bewegungen, die Ausdruck mangelnder Ambiguitätstoleranz ist und gleichzeitig auf die autoritären Sehnsüchte in der kapitalistischen Gesellschaft verweist, von denen sich auch die Linke nicht frei zu machen im Stande ist. Insbesondere der Zusammenhang von Männlichkeit und martialischen Revolutionsfantasien, sowie straffe Hierachien, vereinfachte Kapitalismuskritiken, die im Antisemitismus enden und das Missachten komplexer, widersprüchlicher gesellschaftlicher Zusammenhänge scheinen uns kritikwürdig.

3. Wir kritisieren bestimmte Formen aktueller postmoderner Auswüchse der Identitätspolitik. Wir halten Identitätspolitik nicht für per se problematisch, denn natürlich ist feministische Poltik aus einer spezifischen Unterdrückungsposition als Frau oder andere FLINTA immer auch eine Form der Identitätspolitik, die Anerkennung und Gerechtigkeit für die eigene Idenität fordert. Allerdings glauben wir, dass Identitätspolitik im Neoliberalismus in Teilen dazu verkommen ist, nur noch immer weitere individuelle Merkmale zur Identität erheben zu wollen und für diese Anerkennung im Bestehenden sucht, statt tatsächlich revolutionäre Bestrebungen zur Befreiung aus diesem gesamten Übel der gesellschaflichen Totalität zu suchen.

4. Wir begreifen uns insgesamt als eine ideologiekritische Gruppe – dabei wollen wir aus feministischer Perspektive auch die Rolle von Religionskritik hervorheben. Natürlich gilt es, Menschen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Religion zu schützen. Dennoch möchten wir betonen, dass es dabei wichtig bleibt, Religionen als Ideologien und Herrschaftsapparate insgesamt zu kritisieren. Religiöse Praktiken und Vorschriften dienen vielfach der Legitimierung patriarchaler Unterdrückung und müssen als diese thematisiert werden. Dies gilt auch für die generelle reaktionäre und herrschaftslegitimierende Tendenz von Religion. Uns ist dabei aber wichtig zu betonen, dass Religionskritik nicht zum Einfallstor für antimuslimischen Rassismus verkommen darf.

5. Wir positionieren uns gegen jeden Antisemitismus. Die Gründung des jüdischen Staates war und ist die einzige angemessene Antwort auf Antisemitismus und die jahrhundertelange und andauernde Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden. Wir sind deshalb solidarisch mit dem Staat Israel, sein Existenzrecht ist nicht verhandelbar. Die Politik der israelischen Regierung sollte aber immer wieder Gegenstand einer politischen Reflektion der Linken sein.
Wir sind schockiert über die mangelnde feministische Solidarität nach dem 7. Oktober 2023 und die Leugnung der abscheulichen sexualisierten Gewalt gegen Frauen und Mädchen durch die Hamas. Es ist falsch, Antisemitismus und Rassismus als einen Widerspruch gegeneinander auszuspielen. Die rassistischen Erfahrungen der palästinensischen Zivilbevölkerung und ihr Leiden in den militärischen Auseinandersetzungen sind ebenso real wie die (sexuelle) Gewalt an Jüd_innen am 7. Oktober. Die Unfähigkeit diese Ambiguität auszuhalten, deutet auf ein weitreichendes Defizit der Linken und Feminist_innen in der Auseinandersetzung mit eigenem und strukturellem Antisemitsmus hin.

6. Wir lehnen jeglichen Nationalismus ab, aber betonen die spezifische zerstörerische Qualität des deutschen und stehen daher weiter hinter der Parole: Nie wieder Deutschland!

7. Solidarity is key! Für uns als Feministinnen und Linke ist Solidarität der entscheidende Schlüsselbegriff. Wir sind solidarisch mit den Betroffenen gesellschaftlicher und konkret patriarchaler Gewalt. Wir wollen solidarische Verbündete für jene sein, die andere emanzipatorische Kämpfe führen von denen wir nicht unmittelbar betroffen sind. Und wir wollen miteinander innerhalb der Linken streiten können, ohne zu vergessen, dass wir am Ende alle die befreite Gesellschaft wollen. Solidarität bedeutet nicht, dass man sich nicht mehr kritisch äußern und um Positionen streiten darf. Solidarität kann sogar viel mehr in genau solchen Auseinandersetzungen entstehen – wo widerstreitende Positionen diskutiert, aber in diesen Momenten die Verschränkungen der Kämpfe, die gleichermaßen brutale Betoffenheit durch die gesellschaftliche Gewalt und die gemeinsame Vision einer besseren Zukunft entdeckt werden.

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Nachtrag: Wir möchten transparent machen, dass wir eine feministische Gruppe sind, die durch eine relativ starke Standort-Homogenität geprägt ist. Wir sind alle cis-Frauen, weiß und akademisiert. Wir reflektieren, dass dies Einfluss auf unsere Perspektiven hat und glauben, dass Austausch mit anderen Perspektiven unsere gesellschaftliche Analyse und unsere politischen Überzeugungen nur schärfen kann, daher fühlt euch eingeladen mit uns in Austausch oder Diskussion zu gehen oder ergänzt als FLINTAs mit anderer gesellschaftlicher Verortung unsere Gruppe.